Spieler wie Brock Purdy verschwinden normalerweise rasch in der Versenkung des amerikanischen Profisports. Der Footballspieler Purdy, 23 Jahre alt, war in seinem Sportlerleben nie erste Wahl. Genauer gesagt war er 262. Wahl. Der Quarterback wurde 2022 im Draft der National Football League (NFL) als Letzter gezogen und bekam den wenig schmeichelhaften Titel des «Mister Irrelevant» verliehen, Herr Bedeutungslos. Purdy wurde von den San Francisco 49ers nur deshalb ausgewählt, weil sich in jenem Draft-Jahrgang keine herausragenden Quarterbacks befanden.

Vor dem Draft, der jährlichen Talentschau der College-Spieler mit NFL-Ambitionen, werden die Footballer minuziös durchleuchtet. Die Experten attestierten Purdy zwar Trainingsfleiss, aber nur einen durchschnittlichen Wurfarm und ein beschränktes Repertoire an Passvarianten. Er sei «kein herausragender Athlet», konstatierten die Scouts. Ein Mann mit solchen Anlagen wird nie Stammspieler. Purdys Weg auf die Ersatzbank war vorgezeichnet.

Andere Spieler mit seinen Voraussetzungen tingeln einige Jahre durch die NFL, meistens als dritter Ersatz-Quarterback. Einsatzzeit während der Saison erhalten sie nur im äussersten Notfall, manchmal dürfen sie in einem Vorbereitungsspiel für einige Minuten aufs Feld – wenn der Trainer gnädig ist. Solche Footballer werden oft transferiert, tingeln von Team zu Team. Bis sie irgendwann genug haben und sich einen anderen Beruf suchen.

Purdy schreibt schon in der ersten Saison Sportgeschichte

Die vergangene Saison, die erste als Profi, nahm Purdy erwartungsgemäss als dritter Quarterback in Angriff. Dann ereilte das Verletzungspech die San Francisco 49ers: Sowohl der Stamm-Quarterback als auch dessen Ersatzmann verletzten sich. Plötzlich blieb nur noch Purdy. Viele Fans und Experten schrieben die Saison ab; niemand glaubte, dass San Francisco mit diesem «Mister Irrelevant» auch nur eine Partie gewinnen würde.

Doch Purdy packte die Chance und führte die 49ers in die Play-offs. San Francisco entschied die erste Runde für sich, dann verletzte sich Purdy – und seine Mannschaft schied aus. Trotzdem schrieb der einstige Nobody Sportgeschichte. Er war der erste «Mister Irrelevant», der einen Touchdownpass warf. Und mittlerweile hat er saisonübergreifend in der Regular Season alle zehn Spiele gewonnen. Nur zwei andere Quarterbacks in der Geschichte der NFL haben die Profikarriere mit einer längeren Siegesserie gestartet.

Die Teamkollegen und Trainer attestieren Purdy eine grosse Lernfähigkeit. Ausserdem sei er auf jeden Gegner perfekt vorbereitet, er müsse während des Spiels gar nicht mehr überlegen, welchen Pass er werfe, vieles geschehe automatisch. Für einen 23-Jährigen mit wenig Renommee trete er ausserdem mit grosser Nervenstärke auf.

Der Headcoach der 49ers, Kyle Shanahan, sagte im US-Fernsehen: «Er verfügte von Anfang an über grosses Selbstvertrauen, trat aber auch demütig auf.» Shanahan setzt mittlerweile voll auf Purdy, hat ihn zum Starting Quarterback ernannt. Ausserdem gaben die 49ers im Sommer den talentierten, aber auch verletzungsanfälligen Jimmy Garoppolo an die Las Vegas Raiders ab. Trey Lance musste den Klub ebenfalls verlassen, er war vor Purdys Aufstieg für die nächsten Jahre als Stamm-Quarterback eingeplant gewesen.

Der Trainer Shanahan ging damit ein Risiko ein, wurde aber belohnt. In der Nacht auf Montag warf Purdy gegen den Erzrivalen Dallas Cowboys vier Touchdownpässe. Das ist ein Spitzenwert und für Purdy ein persönlicher Rekord. Die 49ers gewannen, sie haben in dieser Saison alle fünf Spiele für sich entschieden. Seit Purdy als Stammspieler übernommen hat, hat kein Team mehr Punkte erzielt. Mittlerweile sehen viele Experten San Francisco als Anwärter auf den Meistertitel. Es wäre der erste Sieg im Super Bowl seit 1994.

Purdy ist für die San Francisco 49ers ein Schnäppchen

Purdy verschafft den 49ers auch in finanzieller Hinsicht Vorteile. Quarterbacks gehören normalerweise zu den höchstbezahlten Spielern und verbrauchen einen grossen Teil der begrenzten Lohnsumme eines Teams. Purdy hingegen verdient pro Jahr «nur» 870 000 Dollar, die 49ers haben deshalb mehr finanziellen Spielraum, um auf anderen Positionen teure Spieler zu verpflichten.

1491 NFL-Spieler verdienen derzeit mehr als Purdy, in der Lohnrangliste der Quarterbacks taucht er erst auf Platz 68 auf. Das führt zur Kuriosität, dass sein Ersatzmann Sam Darnold mehr als fünfmal so viel verdient. Purdy wird die starken Leistungen erst ab 2026 zu Geld machen können, dann läuft der Kontrakt aus. Die bestbezahlten Quarterbacks verdienen gegen 50 Millionen Dollar pro Saison.

Der Headcoach Shanahan sagte, der Erfolg habe Purdy nicht verändert. Er arbeite genauso hart wie zuvor als Nobody. «Das hat ihm den Respekt der anderen Spieler eingebracht, sie vertrauen ihm», sagte Shanahan. Dass ihn der Erfolg nicht verändert hat, zeigen auch die Lebensumstände. Purdy sagte in der «Today Show», er lebe in einer WG. Und er fahre immer noch jenes alte Auto, das er schon vor dem Aufstieg besessen habe.